Ein typisches Problem bei der Aufzucht von Kälbern ist Eisenmangel. Aber warum ist das für die Kälber von Milchrindern ein Problem, während in der Natur die Kälber von Wisent, Bison, Yak, Gaur und Banteng problemlos ohne Eiseninjektion aufwachsen? Sicherlich sterben auch viele Kälber in der Natur, aber nicht ursächlich durch eine Eisenmangelanämie.

Häufig wird angeführt, dass es zu einem „Verdünnungseffekt“ der Milch kommt. Teilweise soll der Nährstofftransfer ins Euter bei Hochleistungskühen eingeschränkt sein. Wildrinder geben viel weniger Milch als Hochleistungskühe, es wird postuliert, dass dadurch der Eisengehalt in der Milch unterschiedlich ist. Doch das ist eigentlich nicht der Fall, beziehungsweise ist der Unterschied vernachlässigbar. Auch im Kolostrum (Biestmilch) ist bei Wildrindern nicht wirklich viel mehr Eisen enthalten als bei Hochleistungskühen.
Ein großer Unterschied ist jedoch das Wachstum der Kälber. Wildrinder wachsen viel langsamer als die Kälber auf Milchviehbetrieben. Auch sind die Geburtsgewichte bei Wildrindern niedriger. Das hat einen Einfluss auf den vorgeburtlich angelegten Eisenspeicher der Kälber. Die Plazenta (Mutterkuchen) lässt relativ wenig Eisen durch, wenn das Kalb bei Geburt kleiner ist, ist der prozentuale Anteil des Eisens im Kalb etwas höher. Die Eisenreserven in der Leber reichen daher länger. Durch ein etwas langsameres Wachstum ist der tägliche Eisenbedarf beim Wildrind zudem etwas niedriger als beim Hausrind. Während Wisente bei Geburt 22-30 kg wiegen, kommen Hausrindkälber mit 35-50 kg zur Welt.
Der Hauptunterschied ist aber ein ganz anderer! Wildrinder haben frühzeitig Kontakt zu Erde. In Erde kommt zwar oft wenig Selen vor, aber ein Mineral das fast immer viel enthalten ist, ist Eisen. In der Natur lebende Kälber nehmen immer etwas Erde auf und mit ihr das wertvolle Eisen.
Das Fressen von Erde wird Geophagie genannt.

| Merkmal | Wisent | Hochleistungskühe |
| Eisengehalt Milch | 0,5–1,5 mg Fe/l | 0,5 mg Fe/l |
| Eisengehalt Kolostrum | 0,8–2,0 mg Fe/l | 0,5–2,0 mg Fe/l (stark schwankend) |
| Milchmenge | Gering (bedarfsgerecht) | Sehr hoch (Zuchtziel) |
| Verdünnungseffekt durch Milchmenge | Nein | vernachlässigbar |
| Nährstofftransfer ins Euter | Natürlich reguliert | Teilweise eingeschränkt |
| Kälberwachstum | Langsam | Sehr schnell |
| Risiko für Eisenmangel | Gering | Hoch (v. a. ohne Zusatzversorgung) |
