Narkose bei Rindern

Man möchte ein Rind operieren, das Mittelalter ist vorbei, also wollen wir eine Narkose machen. Während Kälber oftmals für Operationen in Vollnarkose versetzt werden, verzichtet man bei ausgewachsenen Rindern oft darauf. Der Grund ist ihr Pansen. Stattdessen werden ausgewachsene Rinder meist nur sediert, so dass sie weiterhin stehen können und das Operationsfeld wird lokal anästhesiert (schmerzunempfindlich gemacht).

Bei geplanten Eingriffen sollte man Rinder vorher fasten lassen. So ist der Pansen leerer, was den Druck auf das Zwerchfell reduziert, sowie die Gefahr von aufgasen und verschlucken verringert. Kälber unter acht Wochen sollte man nicht fasten lassen, ältere Kälber bekommen etwa einen halben Tag vorher kein Futter mehr. Ausgewachsene Rinder sollten einen Tag fasten.

Sedativum: Xylazin

Xylazin ist ein alpha-2-Adrenozeptor-Agonist. Es führt bei Rindern zu einer Sedierung (keine Vollnarkose!) und es ist angstdämmend (anxiolytisch). Die schmerzstillende Wirkung von Xylazin ist gering, beim Rind insbesondere an den Gliedmaßen fast nicht vorhanden. Es führt auch zu keiner Muskelrelaxierung (Muskelerschlaffung), die Rinder können also noch zucken und treten. Eine häufige Nebenwirkung, insbesondere bei der intramuskulären Gabe, ist ein verstärktes muhen beim Anfluten des Medikaments. Es gibt in der Tiermedizin die bei allen Studierenden beliebten tierartlichen Unterschiede. Xylazin führt in der Regel zu einer niedrigeren Körpertemperatur, beim Rind hingegen steigt sie. Während andere Tiere mit Xylazin weniger speicheln, führt es bei Wiederkäuern zu vermehrtem Speichel. Bei tragenden Kühen kann Xylazin eine Frühgeburt auslösen, um das zu vermeiden kann man vorher Clenbuterol geben.

Je nach Dosierung führt Xylazin zu einer Sedierung bei der die Rinder noch stehen oder sich ablegen. Nach intravenöser Gabe tritt die Wirkung schnell ein, die maximale Wirkung nach 5-10 Minuten. Gibt man Xylazin in den Muskel, so wird das Wirkmaximum nach 15-20 Minuten erreicht. Das ist auch der Zeitraum, den man warten sollte, falls man bei unzureichender Wirkung nachdosieren möchte. Die Dauer der Sedierung liegt zwischen einer halben und einer ganzen Stunde. Gibt man Xylazin in die Vene so hält die Wirkung kürzer an, als bei intramuskulärer Verabreichung.

Für Blutprobennahme sedierte Rinder

Anästhetikum: Ketamin

Gibt man zusätzlich zum Sedativum noch Ketamin, so erreicht man eine bessere Muskelentspannung und eine Narkose. Ketamin ist ein dissoziatives Anästhetikum. Es führt zu einer Analgesie (Schmerzunempfindlichkeit) und ist ein Hypnotikum (schlaferzeugend). Das Herz-Kreislauf-System wird stimuliert. Die Reflexe bleiben weitgehend erhalten, daher atmen die Tiere weiter. Ketamin hat eine große therapeutische Breite, das bedeutet, dass es bei einer Überdosis nicht so schnell zu Todesfällen kommt.

Die Wirkung von Ketamin hält bei intramuskulärer Gabe bis zu einer dreiviertel Stunde an, bei intravenöser Verabreichung nur 15-20 Minuten.

Eine Nebenwirkung von Ketamin ist Tachykardie (erhöhte Herzschlagfrequenz), praktischerweise führt Xylazin zu einer Bradykardie (erniedrigte Herzschlagfrequenz). Passt unterm Strich daher meist.

Lokalanästhesie: Procain

Früher hat man Cocain als Lokalanästhetikum verwendet. Heute wird dafür lieber Procain genutzt, es hat nicht die euphorisierende Wirkung wie Cocain. Daher sind die gesetzlichen Auflagen nicht so hoch wie beim Cocain.

Mit einer Lokalanästhesie (örtliche Betäubung) kann man einen reversibleren Gefühlsverlust in einem begrenzten Bereich schaffen, ohne dass das operierte Tier das Bewusstsein verliert. Ein typischer Einsatzbereich ist der Kaiserschnitt. In Vollnarkose werden meist nur Kälber gelegt, Eingriffe bei ausgewachsenen Rindern werden meist an stehenden, sedierten Rindern mit lokaler Betäubung durchgeführt.

Wenn wir die Burdizzo-Zange benutzen, so machen wir eine Lokalanästhesie obwohl die Tiere in Vollnarkose liegen. Weil wir nett sind und wegen des Schmerzgedächtnisses.

Bis eine lokale Betäubung wirkt dauert es 2-5 Minuten. Ist ein Gewebe entzündet, so sinkt dort der pH-Wert, was dazu führt, dass Procain dort schlecht bis gar nicht wirkt.

Hat man ein Procain mit Sperrkörper, so ist da zusätzlich Adrenalin drin. Das führt dazu, dass Procain langsamer absorbiert wird und somit die Wirkung länger anhält. Ansonsten hält die Wirkung für etwa zwei Stunden an. Der Sperrkörper führt zu Vasokonstiktion (die Gefäße ziehen sich also zusammen), das führt daher zu der Gefahr einer ungenügenden Durchblutung in terminalen Endstormgebieten. Daher nie Lokalanästhesie mit Sperrkörper in den Akren (äußerste, endende Körpergebiete wie Schwanz, Füße, Ohren, Maul) einbringen.

Procain wird vielfältig eingesetzt:

Bei der Leitungsanästhesie werden gezielt Nerven oder Nervenbündel betäubt. Dafür muss man natürlich in Anatomie aufgepasst haben, damit man auch weiß was man wo betäubt. Typischer Einsatz beim Rind ist die Betäubung des Ramus cornualis des Nervus zygomaticotemporalis beim Enthornen.

Bei der Infiltrationsanästhesie verteilt man das Lokalanästhetikum im Gewebe und hat die Wirkung dort wo man es hin gespritzt hat. Das macht man zum Beispiel bei einem Kaiserschnitt als Schnittlinieninfiltration, also in dem Bereich wo man schneiden möchte.

Bei der Epiduralanästhesie (= „PDA“, Periduralanästhesie) werden die Rückenmarksnerven betäubt, das Lokalanästhetikum wird in den Wirbelkanal (Epiduralraum) eingebracht.

Bei Operationen an den Klauen kann man eine Stauungsanästhesie durchführen. Dazu wird ein Stauschlauch um das Rohrbein gelegt und das Lokalanästhetikum in eine Vene injiziert, es verteilt sich anschließend unterhalb des Stauschlauches im ganzen Fuß und führt dort zu Schmerzunempfindlichkeit.

Beim sogenannten Paravertebralblock werden die Nerven kurz nach Austritt aus dem Rückenmark betäubt, so dass man (je nachdem welche Nerven man „blockt“) die ganze oder Teile der Bauchwand anästhesieren kann.

Aufwachphase

Nach dem operativen Eingriff müssen Wiederkäuer in Brustlage verbracht werden, sonst besteht die Gefahr, dass der Pansen aufgast. Die Rinder müssen alleine untergebracht sein, sonst trampeln die wachen Artgenossen auf ihnen herum. Wenn man Rindern die nötige Ruhe gibt, so versuchen sie erst aufzustehen, wenn sie das auch problemlos schaffen.